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Du sihst/ wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut/ reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn/ wird eine Wiesen seyn/
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.

Was itzund prächtig blüht/ sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein/
Nichts ist/ das ewig sey/ kein Ertz/ kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an/ bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit/ der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß/ was wir vor köstlich achten/

Als schlechte Nichtigkeit/ als Schatten/ Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum/ die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist/ kein einig Mensch betrachten!

(Andreas Gryphius, Es ist alles eitel, 1637)

 

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Bach‘s wundervolle Suiten spiegeln sich auf diesen drei CD‘s in modernen Kompositionen, die eigens für dieses Projekt komponiert wurden. Ich habe von jeder Suite einen Satz ausgesucht und ihn als Anregung für eine neue Komposition an Komponisten gegeben. Die Ausnahme bildet die erste Suite von E. Bloch, die sich durch die Tonart c-moll, das sich am Anfang wiederholende, tiefe C und den düsteren Charakter an Bach‘s Prélude der fünften Suite anlehnt. Ausserdem wird dieser Suite von Bloch viel zu wenig Aufmerksamkeit zuteil und ich wollte meinen Beitrag leisten, dieses Werk des Schweizer Komponisten bekannter zu machen. Die Inspiration zu Gerhard Gemkes „Courante de Félixe“ war die Courante aus der 1. Suite von Bach. Paul Glass hat tatsächlich je einen Takt der Allemande der 2. Suite von Bach gespiegelt, man hört die Töne zunächst im Original und dann in entgegengesetzter Reihenfolge, eben am Taktstrich gespiegelt. Der Vater meines ehemaligen Cellolehrers, Carl Theodor Hütterott war so nett, mir den „Tanz zu Bach im Spiegel“ zu den Bouréen der 3. Suite zu komponieren. Und mein Orchesterkollege Chunhe Gao, mongolischer Herkunft, inspirierte sich für seinen „Gengisbach“ an der Sarabande der 4. Suite, aber auch an der Musik seiner Heimat. Der Dirigent und Komponist Jérémie Rhorer bekam mit der Gigue aus der 6.Suite seine „Aufgabe“. Ich danke allen Komponisten von Herzen! 

 

In meiner Jugend wurde ich zuerst berührt von dem, was wir heute „historisch informierte Aufführungspraxis“ nennen. Dabei prägte mich zunächst die Aufnahme von Heinrich Schiff, die  vom grossen Pionier dieser Spielweise, Nikolaus Harnoncourt, sehr lobend erwähnt wurde.

Während des Studiums kniete ich mich in das Problem: Das Studium der Lehrbücher von Quantz, Leopold Mozart und Carl Phillip Emanuel Bach als Sohn des grossen Johann  Sebastian, sowie natürlich der Quellenvergleich der vorhanden Abschriften von Bachs Suiten ergaben zunächst vor allem eins: Grosse Konfusion bis hin zur Verzweiflung! Der „Informationsstau“ führte dazu, das ich überhaupt nicht mehr wusste, wie ich denn jetzt zu spielen hatte. Mit Vibrato oder ohne? Wie wichtig ist die Rhetorik der Musik? Klang? Phrasierung?

Zu guter Letzt besann ich mich auf die Bedeutung des Wortes: Interpret!

Nach all diesen, zum Teil sehr widersprüchlichen Informationen musste letztlich ich selber entscheiden. Und zwar mit einem sehr unwissenschaftlichen Kriterium: Mit meinem eigenen Geschmack.

Und so ist das, was Sie hier hören werden also ein Kompromiss:

Mein Cello ist zwar von 1730, aber ich spiele es mit modernen Saiten. Ich spiele die 5. Suite zwar mit „Scordatura“ (die A-Saite wird auf „G“ heruntergestimmt), aber ich habe keinen Barockbogen benutzt…

Immer ist aber der Moment der CD-Aufnahme eine Momentaufnahme. Grade ein so monumentales, zentrales Repertoire reift immer weiter, ein Leben lang. Meine eigenen Interpretationen finde ich manchmal, in aller Unbescheidenheit erlaube ich mir, das zu sagen, nach Jahren immer noch gelungen und schön. Manchmal ist aber auch das Gegenteil der Fall und ich wünsche mir, ich wäre diese oder jene Stelle gewagter angegangen, hätte mehr Extreme ausgelotet, denn es gibt eine alte Regel unter Musizierenden: Was Dich im Kämmerlein berührt, was Du beim Spielen empfindest ist nicht unbedingt das was beim Hörer ankommt! Oft braucht man wirklich übersteigerte Effekte um hervorzurufen, was einen zutiefst bewegt, um es dem Hörer in der selben Weise nahe zu bringen, wie man es in sich empfindet…

Ein Wort sei erlaubt zur „Architektur“ der Suiten und ihrem religiösen Inhalt:

Man muss versuchen, sich in die Menschen der damaligen Zeit hineinzuversetzen. Die Macht, die die Religion und Kirche auf das ganz alltägliche Leben hatten, ist kaum zu überschätzen. Noch dazu hat Bach ja hauptsächlich religiöse Werke geschrieben, war also der religiösen Gefühlswelt, der Bibel oder dem Leidensweg Jesu ständig und immer wieder nahe. Es spricht für seine demutsvolle Haltung im christlichen Sinne, das er unter alle (!) seine Werke zumindest in abgekürzter Form das „Solo Dei Gloria“, das „Gott allein sei die Ehre“ setzt! Man überlege: Zu Bachs Zeit hat bekanntlich ein europaweiter, verheerender Krieg gewütet, der 30 Jahre dauerte. Dazu gab es Pandemien wie die Pest. All diese Einflüsse führten dazu, das das diesseitige Leben, das Leben vor dem Tod den berühmten Begriff „Jammertal“ erhielt. Das eingangs zitierte Gedicht ist ein Schlüssel zu dieser Gedankenwelt.  

Für mich persönlich steht ausser Frage, das die 6 Suiten Bachs für Violoncello eine klare Struktur, eine Architektur in ihrer Anlage haben. Es kann kein Zufall sein, das die vorletzte, fünfte Suite in c-moll steht, einer der düstersten, oft mit dem Tod assoziierten Tonart, und danach, der jubelnde Anfang, der gleichsam swingende 12/8 Takt des Préludes der sechsten Suite in D-Dur losjauchzt wie das Halleluja von Händel! Das ist eine Auferstehung, eine Erlösung wie man sie mit Worten nicht deutlicher hätte ausdrücken können!   

Die Sarabande gehört historisch gesehen zu den vier Kernsätzen einer Suite. (Allemande, Courante Sarabande, Gigue). In der fünften Suite ist die Sarabande nur noch ein „Skelett von Musik“, sie besteht eigentlich nur noch aus schlicht aneinander gereihten Vorhalten. Und doch ist die Intensität des Ausdrucks unerreicht, man sieht förmlich den Gekreuzigten vor sich, wenn man sich diese Musik anhört…

Als Einleitung einer Suite wurde oft eine Improvisation gespielt. Diese Einleitung entwickelte sich im Verlauf des Barock zum auskomponierten Prélude. Deswegen, und da dem Prelude als einzigem Satz der Suite kein Tanz zu Grunde liegt, erlaube ich mir hier die grössten Freiheiten. 

Ich hoffe, das meine Interpretation bei Ihnen dieselben Gefühle hervorrufen kann, die ich beim langen Studium dieser Werke empfinden durfte.

Last but not least ist Dank an viele Unterstützer zu sagen:

An den Produzenten Giovanni Conti, der mir einfach so, bei einem Kaffee einen Lebenstraum erfüllte, an Michael Rast, das fränkische Urgestein und die vielen, zum Teil auf Bergtouren entstandenen Ideen und natürlich für die „Schnippelei“. Dank gebührt auch Giulio Mercati, der mich einlud, alle Suiten in der herrlichen Kirche „Santa Maria degli Angioli“ zu spielen und mich in die barocke Welt begleitet, wann immer es geht. Meinen Lehrern Claus Hütterott und vor allem Tilmann Wick sei hier auch ganz herzlich gedankt. Und natürlich gebührt viel Dank der jahrelangen Geduld einer Mutter, die eigentlich mal mit Bach nicht so viel am Hut hatte, einem Vater, der mich in die Welt der Oratorien und Passionen Bachs einführte und auch einem Bruder, der diesen Weg mit mir gegangen ist. Und meiner Frau, die wann immer sie konnte in der Sakristei sass und mich gedanklich und emotional unterstützte während ich spiele….

Felix Vogelsang 2022 

 

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